About, Making of / 11 Sep 2019
Interview im Fachmagazin MAKROFOTO

Makrofo, die Fachzeitscrhift für Makrofotogafen, erhältlich über www.makro-treff.de
MAKROFOTO, die Fachzeitschrift für Makrofotogafen, erhältlich über www.makro-treff.de (Klick auf das Bild führt zu makro-treff.de)
Valentin Gutekunst, Makrofotograf, Gründer von Makrotreff und Herausgeber des Fotografen-Magazins MAKROFOTO, hat mich für die Ausgabe 8, erschienen Juni 2019, interviewt. Das vollständige Fotografenportrait mit weiteren Fragen insbesondere zu den technischen Aspekten kann in der Zeitschrift gelesen werden. Das Heft bietet dazu die einmalige Gelegenheit, ausgesuchte Makrofotogafien aus dem botanischen Kabinett in voller Auflösung auf (oft doppelseitigem) A4 zu bestaunen. Die Zeitschrift ist hier (externer Link) bestellbar.

Gutekunst: Wie bist Du zur Fotografie gekommen?

Ich habe schon als Kind meine Begeisterung fürs Fotografieren entdeckt und bin gerne mit einer Kamera raus in die Natur gegangen. Was mein jetziges Großprojekt betrifft, war diese Lust am Fotografieren sicher sehr förderlich, und genauso meine Ausbildung zur Gestalterin, zu der die Fotografie als auch die Bildretusche gehörte. Aber zwei andere Faktoren mussten noch dazukommen. Zum einen meine Arbeit mit den botanischen Sammlungen an der Uni. Meine Kolleginnen brachten zahlreiche Früchte aus afrikanischen Ländern mit, Nüsse, Samen und Herbarbelege, vieles davon von lokalen Märkten, das meiste essbar – und hierzulande praktisch unbekannt. Eine halbierte Elefantenzitrone (Afraegle paniculata) zum Beispiel. Hinzu kam irgendwann die Sammlung der Lebensmittelchemie-Abteilung, die aufgelöst wurde und zum Teil in unsere Abteilung integriert wurde. Darunter waren viele Gewürze, Getreide, Hülsenfrüchte usw.. Faszinierende Lebensmittel und Sammlungsstücke, die zumeist in verschlossenen Schänken verborgen bleiben. Etwa die Tahiti-Vanille (Vanilla pompona), 1972 gesammelt, die immer noch lieblich duftet. In meinen Augen sind diese Sammlungen wahre Schatzkammern. Und die Schätze, das sind in diesem Falle also die essbaren Pflanzen. Es ist eine kaum fassbare Fülle, die uns da zur Verfügung steht, so viel wurde mir nach und nach klar. Selbst wenn man die unzähligen, gezüchteten Sorten außer Acht lässt. Die ja auch – wie viele Tier- und Pflanzenarten – immer weniger werden. Ich will diese Vielfalt festhalten und bei anderen Menschen dieselbe Faszination wecken, wie ich sie empfinde. Warum ich mich damit auf essbare Pflanzen beschränke? Vielleicht, weil ich seit sehr langer Zeit schon Veganerin bin und mir am Anfang auch einmal die Frage stellen musste: was esse ich denn dann? Eine Frage, die jedem Veganer und jeder Veganerin oft gestellt wird. Man fragt das vielleicht, weil man beim Gedanken an Nahrungspflanzen im ersten Augenblick nur an Salat denkt. Was wir aber oft vergessen, ist, dass auch z.B. Nudeln und Brot pflanzlich sind, das sind Hartweizen, Weichweizen, Roggen und andere Getreide. Kaffee, Tee, Bier und praktisch alle Gewürze sind Pflanzen. Wahrscheinlich nehmen wir das nicht mehr als pflanzlich wahr, weil bei derart verarbeiteten Produkten – im Gegensatz zu Salat und anderem frischen Gemüse und Obst etwa – die Pflanze nicht mehr sichtbar ist. Pflanzen bilden immer noch den größten, wichtigsten und tatsächlich auch genussvollsten Teil unserer Ernährung. Mit meinem Projekt will ich das also ins Bewusstsein zurückholen. Ich will die Pflanzen hinter diesen Produkten zeigen.

Gutekunst: Wie läuft so ein typisches Pflanzen-Shooting bei dir ab?

Titel des PortraitsDas beginnt mit dem Entdecken und Erkennen einer Pflanze und dem Recherchieren, ob diese essbar ist, jedenfalls, wenn ich diese Pflanze, diese Frucht nicht gerade im Handel gefunden habe – was immer seltener der Fall ist. Die meisten Pflanzen bzw. Pflanzenteile kommen aus botanischen und privaten Gärten oder ich finde sie in der Natur. Diese verpacke ich nach der Entnahme sofort in Tüten oder Dosen. Mein „Studio“ habe ich zu Hause. Dort muss ich die gesammelten Objekte meistens sehr zügig fotografieren, bevor sie verwelken. Das Verwelken beginnt spätestens, wenn ich die Pflanzen aus der Tüte hole. Oft haben sich die Blätter aber während des Transports schon „verlegt“, haben also keine natürliche Position mehr. Nicht immer ist es möglich, dies durch vorsichtiges Beschweren für einige Minuten und durch Fixierung mit Präpariernadeln zu korrigieren, bevor sie verwelken. Die Pflanze bis zum Shooting „frisch“ zu halten, ist daher eigentlich die größte Herausforderung. Darum sind Früchte, Nüsse, Samen und Wurzeln schon bequemer zu fotografieren. Weil ich bei allen Objekten eine durchgängige Tiefenschärfe erhalten möchte, fotografiere ich stets mit der Focus-Stacking-Methode. Obwohl eine einzelne Bildserie weniger als eine Minute dauert, bewegen sich manche Pflanzen aber zu schnell für ein fehlerfreies Ergebnis. Nicht nur passiv durch Schwerkraft und Verwelken etwa, sondern tatsächlich auch durch aktives Zusammenfalten der Blätter. Oxalis triangularis zum Beispiel hat sich daher nach einigen Versuchen als „nicht fotogen“ erwiesen. Ich fotografiere – wenn möglich – zunächst die ganze Pflanze und nach und nach einzelne Teile von ihr: das einzelne Blatt, einzelne Blüten, außerdem Längs- und Querschnitte von Samen und Früchten. Ich habe dafür immer ein sehr gut geschärftes Messer in der Küche, manchmal muss ich auch mit einer Säge ans Werk. Es ist immer auch Naturforschung dabei, eine schrittweise Annäherung an die Anatomie der Pflanze mithilfe des Makroobjektivs und des Focus-Stackings. Wie ist die Frucht aufgebaut, wie die Blüte, welche feinen Strukturen hat die Frucht oder das Blatt? Und manchmal auch: welche Tierchen leben auf dieser Pflanze? Im Anschluss folgen das Verrechnen der Bilder mit einem Stacking-Programm und eine recht aufwändige Nachbearbeitung.

Gutekunst: Du präsentierst Deine Fotografien auf der Website Flora obscura. Was steckt hinter dem Begriff und was genau kann man auf Deiner Seite finden?

„Flora“ ist lateinisch und meint sowohl die Pflanzenwelt, abgeleitet von der römischen Göttin der Blumen, als auch ein Verzeichnis von Pflanzenarten, auch Florenwerk genannt. In einem solchen Florenwerk wird die Pflanzenvielfalt eines Gebietes dokumentiert. Damit ist zwar normalerweise ein geographisches Territorium gemeint, während mein Flora alle Pflanzen aus dem Gebiet der Kulinarik umfassen soll. Außerdem auch Pilze, die biologisch keine Pflanzen sind, aber in der Küche wie welche behandelt werden, dort sind sie ein Gemüse. „Obscura“ ist ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet in etwa „dunkel“, „finster“, und auch „verborgen“. Da ich meine pflanzlichen Objekte stets vor schwarzem Hintergrund fotografiere und die Vielfalt essbarer Pflanzen aus dem Verborgenen ans Licht bringe, fand ich dieses Attribut sehr passend. Ich finde, dass die Farben der Früchte usw. auf schwarzem Grund besonders stark zur Geltung kommen. Die Farbe war mir stets ein zentrales Element. Im Menü der Website kann man eine Farbe auswählen und sich beispielsweise alle roten Objekte anzeigen lassen. Es gibt – neben der Farbe – auch die Kategorien „Verwendung“ und „Essbar“. Ich kann mir also z.B. alle Steinfrüchte, Gewürze oder alle Getreide (Verwendung in der Küche) anzeigen lassen, oder alle Blätter, Samen, Früchte oder Wurzeln (die essbaren Pflanzenteile). Alle Objekte der gewählten Kategorie werden dann im „Kabinett“, einer Übersicht, mit einem Bild, dem lateinischen und einem Vernakularnamen gezeigt. Ein Klick auf den Namen öffnet schließlich das Portfolio zu diesem Objekt mit weiteren Bildern, einer kurzen Beschreibung und einer Infoliste, wo ich über Herkunft, Fruchttyp, Objektgröße, Taxonomie usw. informiere. Beim Fruchttyp wäre das beispielsweise die „Sammelnussfrucht“ der Erdbeere. Diese Begriffe sind verlinkt. Ein Klick darauf zeigt alle Objekte an, die Sammelnussfrüchte sind.

Dies wäre also das Herzstück von Flora obscura, daneben gibt es außerdem das Journal, meinen dagegen noch eher leeren Blog.

Gutekunst: Du hast die „Schatzkammer“ die uns die Natur bietet bereits angesprochen, die Vielfalt der (essbaren) Pflanzen nimmt jedoch weltweit drastisch ab, da sich die moderne Landwirtschaft auf eine Handvoll Arten und Sorten beschränkt. Alte Apfelsorten kennt man vielleicht noch von den Großeltern und Kartoffeln schmecken nach „Kartoffeln“, dabei gibt es etwa 4000 verschiedene Sorten, jede Einzelne mit ganz unterschiedlichem Geschmack und Eigenschaften. Wie siehst Du diese Entwicklung?

Sehr kritisch natürlich. Es ist eine unglaubliche Verarmung im Gange, die irgendwann richtig gefährlich werden kann, aber das Thema ist „ein sehr weites Feld“. Es hat immer ökonomische Gründe, warum wir im Supermarkt nur 10 Apfelsorten statt der mindestens 1500 in Deutschland noch existierenden finden. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden sogar noch 20000 Apfelsorten dokumentiert. Die modernen Neuzüchtungen aus dem Supermarkt dagegen gehen auf nur 3 Stammeltern zurück! Die sind wegen der genetischen Verarmung sehr anfällig gegenüber Krankheitserregern, weshalb der Anbau ohne Pflanzenschutzmittel nicht mehr funktioniert. Das geht dann oft einher mit Saatgut-Privatisierung, bei der Chemiefirmen Sorten patentieren, die durch Genmanipulation speziell gegenüber ihren Giften resistent sind – jedenfalls, bis die ersten Resistenzen auftauchen. Auch für solche Fälle hat man Saatgut- bzw. Genbanken angelegt, die das Saatgut tausender Nutzpflanzensorten erhalten sollen. Alte Sorten sind gegen Krankheitserreger meistens viel weniger anfällig und müssen nicht gespritzt werden. Außerdem gibt es immer Sorten, die gegen Trockenheit und Hitze toleranter sind als andere. Das wird in den nächsten Jahrzehnten noch sehr wichtig sein. Aber laut der Dokumentation „Seed – The Untold Story“ sind etwa 90 Prozent aller Saatgutsorten bereits verschwunden. Und mit ihnen ihr unschätzbar wertvolles, genetisches Erbe.

Beim Thema Sortenvielfalt geht es also um weit mehr als „nur“ eine geschmackliche Vielfalt, aber auch die finde ich sehr wichtig. Die hat mich übrigens zuletzt bei den Tomatensorten am meisten beeindruckt. Eine meiner Kolleginnen züchtet zig verschiedene Tomatensorten in ihrem Garten, im letzten Jahr durfte ich viele davon fotografieren – und hinterher auch essen! Was soll ich sagen: seither schmecken mir die Tomaten aus dem Supermarkt nicht mehr. Kürzlich war ich auch begeistert von einigen afrikanischen Gewürzen, die es im normalen Handel hierzulande gar nicht gibt. Da frage ich mich schon nach dem Warum. Traut der Handel seinen Konsumenten neue Geschmackserfahrungen nicht zu? Es gibt sicherlich heimische und exotische Spezialitäten, die geschmacklich unspannend oder zu aufwändig in der Zubereitung sind und deshalb keine Rolle in unserer Ernährung spielen. Aber ich mache auch immer wieder Entdeckungen, von denen ich denke: warum finde ich dieses großartige Gewürz, diese phänomenalen Früchte nicht im Laden? Warum immer nur dieselben Apfelsorten, die geschmacklosen Tomaten? Kann Vielfalt überfordern? Es gibt eine größere Markenvielalt in den Supermarktregalen als eine echte Nahrungsmittelvielfalt. Natürlich hat das auch einen anderen, sehr wichtigen Grund: es muss auf den größtmöglichen (Energie-)Ertrag pro Hektar produziert werden. 7 Milliarden Menschen und 65 Milliarden „Nutztiere“ wollen ernährt, Millionen Autos mit „Biosprit“ betankt werden. Aber fruchtbarer Boden ist begrenzt. Und er geht zunehmend verloren. Nicht zuletzt auch wegen der nicht nachhaltigen Anbaumethoden in den Monokulturen.

Gutekunst: Du fotografierst inzwischen auch die Vielfalt unserer heimischen essbaren Pflanzen, können die mithalten mit den exotischen Fundstücken?

Das Heft erschien im Juni 2019Ich war nie auf exotische Pflanzen fokussiert, die „heimische“ Vielfalt war immer dabei. Mit dem Begriff „heimisch“ tue ich mich allerdings schwer, weil eben doch sehr vieles tatsächlich aus anderen Regionen der Welt nach Mittel- und Nordeuropa gekommen ist, das heute als „heimisch“ wahrgenommen wird. Auf Kulturpflanzen lässt sich ein solcher Begriff eigentlich gar nicht mehr anwenden. Unsere „heimischen“ Getreidearten bzw. ihre Vorfahren stammen aus Vorderasien, viele weitere der bedeutendsten Nutzpflanzen wie Tomate und Kartoffel aus der Neuen Welt. Ohne Einflüsse aus allen Teilen der Erde und ohne die hunderte oder gar tausende Jahre Domestizierungsgeschichte mit daraus resultierenden, an Bedürfnisse des Menschen und Bedingungen der Umwelt angepassten Sorten wäre der pflanzliche Speisezettel Europas (nördlich des Mittelmeerraums) tatsächlich sehr kurz und ziemlich mager. Wir haben hier unseren Vorfahren sehr viel zu verdanken, und einmal mehr wird hoffentlich klar, dass Nutzpflanzensorten ein wertvolles und erhaltenswertes Kulturgut sind. Seit einiger Zeit entdeckt man „alte Nutzpflanzen“ wie Haferwurzel, Knollenziest und Topinambur wieder, und das ist tatsächlich sehr spannend. Allerdings auch deshalb, weil selbst diese irgendwann aus dem Mittelmeerraum, Amerika oder Asien zu uns kamen und streng genommen keine „heimischen“ Pflanzen sind. (Wilde) Möhre und Schwarzwurzel sind alte Nutzpflanzen, die tatsächlich in unseren Breiten heimisch sind. Ansonsten hat man es dann eher mit kaum oder nicht-domestizierten Pflanzen zu tun, wie etwa Große Klette, Löwenzahn und Gemeine Wegwarte als Wurzel- und Blattgemüse, Leindotter, Wiesenkerbel, Bärlauch oder gut bekannte Früchte wie einige Kirscharten, viele Beeren und Nüsse usw., die zum Teil angebaut werden, aber auch wild bei uns vorkommen. Ich finde die alle botanisch als auch im Hinblick auf ihre Nutzungsgeschichte spannend. Sie sind lecker und schön zu fotografieren, aber ich bin sehr froh, dass wir kulinarisch nicht auf das beschränkt sind, was „schon immer hier“ war.

 


Die Zeitschrift mit dem vollständigen Interview und hochauflösenden, großformatigen Bildern kann bei www.makro-treff.de bestellt werden.

© Jennifer Markwirth 2024, https://flora-obscura.de/
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